Dienstag, 22. Dezember 2015

Das Gut-Mensch-Experiment: Ngana & Klaus & der Weihnachtsmarkt (Teil 1)

Da stand ich nun und hatte mir mein eigenes Grab geschaufelt. Ich hatte auch noch den Spaten dafür geliefert. Einen schönen Spaten, der viel Erde wegschaufelt und nicht so einen kleinen Klappspaten für das Radieschenbeet.
Ich hatte Ngana & Klaus zugesagt, ihnen bei der Organisation ihres Weihnachtsmarktes zu helfen und ich hatte sie dazu ermutigt ein Straßenfest daraus zu machen. Vielleicht sei an dieser Stelle erwähnt, dass unsere Straße gut 800 Meter lang ist.
Alles in allem wäre das gar nicht so schlimm gewesen, hätte es nicht ein paar unvorhersehbare Ereignisse gegeben.
Zwei Tage nachdem ich den beiden zugesagt hatte, eröffnete mir mein Arbeitgeber, dass ich den kompletten November neue Mitarbeiter an unserem neuen Standort (300km entfernt) schulen dürfe. Ähm ... nun ja. Wie sag ich's meinem Kinde?
Kurz darauf traf ich mich mit Ngana & Klaus und einem weiteren Eingeweihten. Ich schilderte ihnen die Situation und sie schauten mich mit großen Augen an, als würde ich Tok Pisin sprechen. Ihr Blick war in etwa derselbe, als hätte ich meiner dreijährigen Tochter etwas über die Quantenphysik erzählt. (Auch wenn ich davon keine Ahnung habe.)
Stille, umherwandernde Blicke und Stirngerunzel hingen in der Luft.
"Du hilfst nicht?", fragte Ngana schließlich mit wehleidiger Miene. Wie immer, stand er. Hatte ich ihn schon jemals sitzen gesehen?
Ich schluckte und überlegte sehr lange. "Doch, doch ... wo ich kann, werde ich helfen. Ich kenne ja nun einige hier in der Straße und da wird euch sicher der ein oder andere unterstützen."
Was sollte ich auch anderes sagen? Gedanklich kramte ich schon im hintersten Hinterstübchen, wen ich alles einspannen könnte.
Was galt es alles zu beachten? Zunächst die Behörden. Für das angepeilte Datum musste die Straße zum Teil gesperrt werden. Ging das so kurzfristig überhaupt? Wer wäre da Ansprechpartner?
Die Buden oder Stände. Wo bekam man so etwas her? Und natürlich, die Leute. Sie waren der Knackpunkt. Den Standort hätte man zur Not auf die Gärten und Hinterhöfe verteilen können, für die Stände hätten auch Bierzeltgarnituren genügt. Aber ohne die entsprechende Hilfe einer gewissen Anzahl an Personen ging es nicht.
"Ich gebe euch morgen Bescheid, mit wem wir rechnen können", sagte ich etwas unsicher und diese Unsicherheit spiegelte sich in den Gesichtern von Ngana & Klaus und dem Eingeweihten wider.
Auf dem Heimweg wischte ich wie wild über das Display meines Smartphones und suchte die Kontakte heraus, die mir im letzten dreiviertel Jahr wirklich hilfreich gewesen waren. Diejenigen, die nicht nur meine Hilfe in Anspruch genommen, sondern sich auch revanchiert hatten oder dies zumindest tun wollten. Frau Holle, der Cafébesitzer und der Griesgram waren freilich nicht dabei, doch es gab mittlerweile eine Handvoll Nachbarn, denen ich durchaus zutraute, dass sie bei diesem Vorhaben mit von der Partie wären.
Eine Weile telefonierte ich herum und tatsächlich sagten vier Nachbarn zu. Darunter auch die Frau vom Griesgram, die aufgrund ihrer ausgeprägten Affinität zu Klatsch und Tratsch wahrlich viele Kontakte in der Nachbarschaft hatte. Sie kannte sogar einen, der beim Straßenbauamt arbeitet und der wiederum genügend Vitamin B besäße, einen Teil der Straße für das Fest sperren zu lassen.
Dazu musste es allerdings nicht kommen, denn meine direkten Nachbarn (Besitzer und Betreiber einer Yogaschule im eigenen Haus) stellten besagte Räumlichkeiten plus Garten zur Verfügung. Unser Vermieter beteiligte sich ebenfalls mit seinem Garten.
Um eine runde Sache daraus zu machen, ging ich zu unseren anderen Nachbarn, die in ihren (üppigen) vier Wänden eine Pension betreiben. Ich wusste nicht so recht, was dabei herauskommen würde, denn sie waren schon immer schwer einschätzbar. Niemals unfreundlich, aber ab und zu hatte ich schon das Gefühl, dass sie einen gerne auch mal absichtlich ignorieren. Vielleicht ist das aber auch Einbildung und sie bekamen mich tatsächlich nicht mit. Sind auch nicht mehr die Jüngsten.
So stand ich also im Eingangsbereich, hatte den Klingelknopf bereits getätigt (er blieb nicht stecken) und wartete.
Die Tür wurde von der Tochter geöffnet, bei der ich auch nie so recht weiß, ob die dort nun wohnt oder nicht. Mit abschätzigem Blick musterte sie mich. "Ja?"
Ich erklärte ihr unser Vorhaben und ihre Miene wurde noch skeptischer. Dennoch ging sie hinein um ihren Vater oder ihre Mutter zu holen. Sie kamen beide. Er: Klein, schmal, Halbglatze und weißes kurzes Bärtchen. Sie: Klein, schmal, weißes kurzes Haar, eine Riesenbrille und einen Teint, wie  Raufasertapete. Ihre Blicke nicht weniger skeptisch, als der ihrer Tochter.
"Wann soll denn das ganze stattfinden?", wollte er wissen.
Ich nannte das Datum.
"Hm ...", machte er.
"Hm ...", machte sie.
"Und was genau erwarten Sie von uns?", fragte sie.
"Wir haben schon unseren Garten und den von Familie X. Vielleicht möchten sie sich beteiligen?"
Ein gemeinschaftliches "Hm ..." verließ ihre Münder.
"Und wann, sagten Sie, findet das statt?"
Ich nannte nochmals das Datum.
"Das ...", setzte er an, blickte zu seiner Frau und wieder zurück zu mir, "... ließe sich sicher einrichten. Benötigen Sie noch Möbel?"
Auf so eine schnelle und vor allem positive Reaktion war ich nicht gefasst.
"Wenn Sie so fragen ... ja, ein paar Bierzeltgarnituren oder etwas Ähnliches könnten wir schon noch gebrauchen."
Er nickte. "Haben wir zu Genüge ..."
Das wusste ich noch von den sommerlichen Gartenfeiern. Seine Garage schien sowieso einen unendlichen Stauraum zu haben. Jedes Mal, wenn sie offen stand, konnte ich etwas anderes darin entdecken. Von der Schwalbe über einen alten Moskwitsch bis hin zu einem Boot.
Letztendlich hatten wir nun also eine ausreichend große Fläche zur Verfügung. Innen wie außen.
Ein paar Möbel hatten wir auch schon. Ich rief Ngana an, der sehr erfeut war.
Nun stand der Durchführung eigentlich nichts mehr im Wege und ich konnte mich beruhigt auf die Dienstreise begeben. Oder doch nicht?


Fortsetzung folgt ...



Montag, 30. November 2015

Das Gut-Mensch-Experiment: Ngana & Klaus

Die Tage werden dunkler und die Menschen von denen ich meine Aufträge erhalte ebenfalls. Glücklicherweise betrifft das nur ihre Hautfarbe und nicht die Art der Aufträge.

Nachdem die beiden Afrikaner des Gemeindehauses versprochen hatten ein wenig die Werbetrommel in ihrer Gemeinde zu rühren, trafen tatsächlich einige Hilfegesuche bei mir ein. Das interessanteste kam von Ngana & Klaus, der, wie ich später erfuhr, eigentlich Kiongozi heißt.
Bereits Mitte Oktober meldeten sich die beiden und baten mich um meinen europäischen Rat. Ngana stand in seinem schwarzen, mit gelben großen Blumen versehenen Gewand und seinem Käpplein vor mir, während der kleine rundliche Klaus neben ihm in einem Korbstuhl saß und sich aufgeregt die Hände rieb. Sie wollten das erste Mal einen traditionellen Weihnachtsmarkt für ihre Gemeinde organisieren. Aber, mahnten sie mit erhobenem Zeigefinger, ich solle das für mich behalten, da es ein Geheimnis bleiben soll. Dabei blickten sie sich übervorsichtig um, als erwarteten sie, dass jeden Moment ein Spion aus seinem Versteck hinter der Yucca Palme springen würde.
Die Idee rührte mich und ich stellte mir die großen Kinderaugen vor, die staunend in all die kleinen Blinklichter schauen würden und ich sah die zuckerwatteverschmierten Münder vor meinem inneren Auge. Also sagte ich zu und war gespannt, wie ich Ngana & Klaus bei ihrem "Geheimnis" helfen konnte.
Sie hätten überhaupt keine Ahnung davon, aber letztes Jahr waren sie zum ersten Mal auf dem Weihnachtsmarkt. Nach ein paar Tagen der Neusortierung und Ordnung ihrer Gedanken, hatten sie festgestellt, dass das eigentlich eine schöne Tradition sei. Doch, wo sollten sie anfangen?
An dieser Stelle kam ich ins Spiel. Wir beredeten, wie viele Gäste in etwa eingeplant waren, wie lange das Fest stattfinden sollte und zu welchem Datum.
Am ersten Advent. Nun gut ... es war zwar seltsam sich Mitte Oktober schon darüber Gedanken zu machen, andererseits hatte es auch schon das erste Mal geschneit.
Ich sagte ihnen, dass sie einen Glühweinstand, einen Bratwurststand (gerne auch kombiniert), einen Bastel- und/oder Backstand für die Kinder (am besten irgendwo drinnen) und vielleicht einen Stand mit traditionellen Handwerk (auch mit afrikanischem) benötigen würden. Ein kleines Fahrgeschäft wäre ein zusätzliches Highlight, aber kein Muss.
Doch dann kam der eigentliche Knackpunkt. Nachdem wir über alles Wichtige (und Unwichtige) gesprochen hatten, stellte sich heraus, dass Ngana & Klaus überhaupt keine Örtlichkeit für den ersten Weihnachtsmarkt der afrikanischen Gemeinde hatten.
Das Gemeindehaus war zu klein und davor war ebenfalls kein Platz. Den beiden fiel auch niemand ein, dessen Haus oder Grundstück groß genug gewesen wäre.
Als sie das erwähnten, regte sich für einen klitzekleinen Augenblick ein Gedanke in mir. Eine Idee, die das gesamte Gut-Mensch-Experiment mit einem Paukenschlag auf die Probe stellen, aber auch auf einen Punkt bringen würde.
"Ngana ... Klaus ...", sagte ich und legte meine Hände kumpelhaft auf deren Schultern. "Ich habe einen gewagten Plan, doch ich brauche dabei eure Hilfe." Die beiden schauten sich etwas verwundert an. Ganz sicher dachten sie: Aber wir wollten doch deine Hilfe?!
"Wir veranstalten euren Weihnachtsmarkt eine Nummer größer und machen daraus ein Straßen- oder Nachbarschaftsfest!"


Fortsetzung folgt ...

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Das Gut-Mensch-Experiment: Die Wohnung, die gar nicht existiert (Teil 2)

Es ist wirklich nicht leicht Informationen zu bekommen, sobald eine gewisse, wie auch immer geartete, Mysteriösität von einem Objekt ausgeht. Eine Mysteriösität, die dazu noch völlig unbegründet ist. Eigentlich besteht sie nur aus Unwissenheit und der Angst vor dem Unbekannten.
Wie dem auch sei ... die Thematik hat mich nicht losgelassen und plötzlich fiel der Groschen. (Heißt das heute überhaupt noch Groschen?)
Bevor wir in unsere jetzige Wohnung gezogen sind, haben wir in derselben Straße gewohnt. Lediglich 500 Meter weiter vorne. Dort ging es jeden Sonntag etwas lauter zu, denn schräg gegenüber war ein kleines, christliches Gemeindehaus (witzigerweise direkt gegenüber der Synagoge). Wöchentlich trafen sich Schwarzafrikaner zu ihren etwas enthusiastischeren Gottesdiensten. Mit Trommeln, einer Art Kriegsgesang und lauten, euphorischen Predigten. Immerhin machten sie eine Feier daraus und schliefen nicht auf dem Rücken des Vordermanns ein, wie man es in anderen Einrichtungen oft beobachten kann.
Jedenfalls dachte ich mir, dass es solche kleinen Gemeindehäuser, -räume oder was auch immer, doch sicher auch für andere Glaubensrichtungen geben wird. Immerhin hatte ich aus der seltsamen Wohnung bereits mehrfach die laute Stimme mit dem afrikanischen Akzent gehört. Dazu die orientalische Musik sowie hin und wieder ein Getränkekasten auf dem Balkon.
Ich beschloss, mich an einem schönen Sonntagmittag mal mit dem ein oder anderen Gemeindemitglied der schwarzafrikanischen Christen zu unterhalten.
Zwei lebensfrohe Männer mit großen Mündern und luftigen Hawaiihemden berichteten mir Erstaunliches:

Tatsächlich lag ich mit meiner neuesten Vermutung gar nicht so falsch. Die Afrikaner meiner Stadt kannten sich natürlich untereinander und die beiden Herren wussten, dass es in unserer Straße noch einen Treffpunkt gab. Allerdings versammelten sich dort die Mitglieder einer anderen abrahamitischen Religion, um ... nun, sagen wir mal, um Dinge zu tun, die so nicht in ihrer heiligen Schrift vorgesehen sind. Welche Dinge das sein mögen, ließen meine Gesprächspartner offen und rieten mir, es auch besser nicht im Detail erforschen zu wollen.
Nun gut, ich denke mir, dass es beim Verzehr von Alkohol losgeht und wo es hinführt oder hinführen kann möchte ich tatsächlich nicht ergründen.
Verständlicherweise sprachen sie nie von einer bestimmten Hausnummer oder Wohnung und so bleibt es weiterhin eine reine Spekulation meinerseits. Wenn diese nun auch mit ein paar Indizien untermauert wurde.

Was ich wiederum sehr erfreulich an der Geschichte fand: Nach dem Gespräch mit den beiden Mitgliedern, erklärten sie sich bereit, mein Nachbarschaftsangebot in ihrer Gemeinde publik zu machen. Vielleicht findet es in den Reihen einer anderen Kultur ein bisschen mehr Anerkennung.
Wer weiß?!


Fortsetzung folgt ...

Dienstag, 11. August 2015

Das Gut-Mensch-Experiment: Die Wohnung, die gar nicht existiert (Teil 1)

... aber trotzdem da ist. So oder so ähnlich kann man sie am besten umschreiben. Die mysteriöse Wohnung, die ich im Post vom 01. April 2015 schon einmal erwähnte:

Vielleicht bekomme ich so auch endlich heraus, was sich hinter der Wohnung im 2. Obergeschoss verbirgt, bei der noch niemals in den 6 Jahren die Rollos hochgezogen wurden und aus der man gelegentlich eine laut schimpfende Stimme in gebrochenem Englisch (mit afrikanischem Akzent) hört: "You have to pay the Money!"


Ich war wirklich lange Zeit hin- und hergerissen, ob ich es wagen sollte, dem Geheimnis dieser Wohnung auf den Grund zu gehen. Die Gefahr, dass man damit in ein Wespennest stechen könnte, war nicht gerade gering.
Doch vor Kurzem war es wieder so weit. Die Balkontür, die nur seitlich einzusehen ist, stand eines Abends offen und diffuses Neonlicht erhellte den Raum dahinter. Laute orientalische Musik schwappte auf die im Dämmerlicht befindliche Straße.
Ich schob die Bio-Mülltonne auf den Gehweg und entschloss mich im selben Moment, doch zu versuchen, das Geheimnis zu lüften. Doch wie sollte ich vorgehen?
Am intelligentesten kam mir die Idee vor, zunächst die Nachbarn zu befragen. Inzwischen habe ich ja den ein oder anderen Kontakt. Natürlich konnte ich nicht denselben Abend dafür nutzen, da es schon zu spät war und ich mir die schwerlich zusammengeklaubten Pluspunkte nicht wieder kaputt machen wollte. So lag ich noch eine Weile wach und brütete über dem Plan ...

Am darauffolgenden Samstag begann ich jegliche verfügbare Nachbarn des Hauses, die mir einigermaßen wohlgesonnen waren (Frau Holle ließ ich geflissentlich aus), zu befragen. Völlig unspektakulär bekam ich immer dieselbe Antwort: "Keine Ahnung, wer da wohnt."
Sehr verdächtig.
Ich hatte nun natürlich auch keine Lust, mich mit einem Feldstecher auf den Treppenabsatz hinter das Fenster über unserem Schuhregal zu klemmen, um die Wohnung zu observieren. Ab und zu kam es vor, dass plötzlich zwei Turnschuhe oder ein Getränkekasten auf dem Balkon standen. Doch noch nie habe ich das Hinausstellen an sich mitbekommen. Das Hineinholen übrigens auch nicht. Irgendwie ist das wie mit diesen Kärtchen der zwielichtigen Autohändler, die man plötzlich am Griff der Fahrertür findet. Hat schon mal jemand beobachtet, wie die dahin kommen? Wahrscheinlich auf demselben Weg, wie die Socken in der Waschmaschine wegkommen. Aber ich schweife ab ...
Aus datenschutzrechtlichen Gründen fällt natürlich auch die Installation einer Webcam weg. Mist!
Vor lauter Verzweiflung entschloss ich mich meinen letzten Joker zu ziehen. Im Dachgeschoss des besagten Hauses, wohnen die Eltern eines Kollegen. Wir grüßen uns freundlich, tauschen sonst aber keine tiefgründigen Informationen aus.
Den Umweg über meinen Kollegen nahm ich jedoch gern in Kauf, wenn ich dafür nur endlich herausbekommen konnte, was es mit dieser Wohnung auf sich hat, bei der nie ... niemals die Rollos hochgezogen wurden.

Es dauerte etwa eine Woche bis mein Kollege daran gedacht hatte, seine Eltern mal zu diesem Thema zu befragen. Sie waren wohl etwas verwundert über die Frage, da sich ihr Sohn noch nie für derlei Dinge interessiert hatte, aber brav antworteten sie ... *Trommelwirbel* ... dass sie es nicht wüssten.

Jetzt ist es so weit ... ich bin dummerweise ein wenig besessen von der Idee, herauszubekommen, wer oder was dort haust. Auch auf die Gefahr hin, dass mir ein Exorzist ins Haus geschickt wird: Ich bleibe dran!


Fortsetzung folgt ...

Freitag, 17. Juli 2015

Das Gut-Mensch-Experiment: Nachbarschaft? - Hilfe!

Es hat sich viel getan im Gut-Mensch-Experiment. Der Sommer ist da, ich war zwischenzeitlich im Urlaub und konnte diesen kaum genießen, denn:

So langsam spricht es sich in der Nachbarschaft herum, dass da so ein Idiot ist, der alle Arbeiten für Lau macht. Auch wenn es nur einmalig ist.
Mir wurde zum Verhängnis, dass ich allen von mir angesprochenen Personen das kleine Kärtchen mit meiner Telefonnummer gab. Die macht nun natürlich die Runde und täglich erreichen mich im Durchschnitt drei Anfragen, ob ich denn mal kurz helfen könne. Mein Frau kriegt die Krise und als wir im Urlaub am Badesee lagen und ich das dritte Mal sagte "Nein, momentan leider nicht!", riss sie mir das Telefon aus der Hand giftete "Mach's doch selbst!" hinein, betätigte die "Off-Funktion", schmiss es in die Strandtasche und ihr Blick verriet mir, dass ich es gefälligst den gesamten Aufenthalt auszulassen habe.

Tja, nun bin ich quasi ehrenamtlicher Hausmeister-Dienst, Pflegepersonal und Kummerkasten in einem. Ich muss Termine vergeben und versuche so gut wie möglich den Überblick zu behalten.
Der eigentliche Effekt der Nachbarschaftshilfe blieb bisher jedoch aus. Ich helfe nun zwar vielen, aber im Gegenzug gab es noch niemanden, der mir sagte: Vielen Dank für deine Hilfe, wenn ich dir mal helfen kann, gib Bescheid.
Mein einziger Lichtblick: Irgendwann sind alle Nachbarn abgegrast.

So viel zum Allgemeinzustand und nun noch eine der kleinen Episoden des guten Menschen in mir:

Eines heißen Nachmittags (so ca. 35°C) erhielt ich einen Anruf mit einem interessant Einsatzort. Direkt um die Ecke sollte ein klitzekleines Café eröffnen und der Besitzer bat um meine Mithilfe, um die schwere Espresso-Maschine in das kleine Gartenhäuschen zu wuchten.
Das war doch die Gelegenheit endlich einmal den Lohn für meine Schufterei zu ernten. Einen Gratis-Kaffee (wahlweise Eiskaffee) oder ein entsprechendes Adäquat.
Freundlich begrüßte mich der Jungunternehmer, nebst seiner anderen Hilfskraft. Beide mit Ray Ban-Sonnenbrille, Achselshirt und Flip-Flops bewaffnet. Er deutete direkt auf das schwere Gerät.
"Schick!", sagte ich und fragte wo er das Teil her hatte.
"Günstig gebraucht von einem gescheiterten Gastronom", bekam ich zur Antwort.
Na hoffentlich ist das kein Omen.
Also umfassten wir die schwere Maschinen zu dritt und hoben sie Zentimeter für Zentimeter nach oben. Ungünstigerweise waren wir ein wenig asymetrisch verteilt und so kippte das Gerät in meine Richtung.
Danach wusste ich auch, weshalb es so viel gewogen hatte. Die Wasserbehälter und Auffangschalen waren nicht geleert worden. Mit Betonung auf "waren". Denn jetzt waren sie leer und meine ehemals helle Hose voll ... und dunkel.
Der Neu-Wirt überhäufte mich mit Beileidsbekundungen die meine Hose auch nicht trocken oder sauber machten. Danach war es gar nicht mehr so schwer die Machine an ihren vorgesehenen Platz zu stellen. Das Anschließen und Testen blieb allerdings aus, weshalb aus meinem ersehnten Kaffee nichts wurde. Ersatz gab es auch nicht. Na ja ... einen feuchten Händedruck, aber von "feucht" hatte ich in diesem Moment genug.
Das Café an sich ist ganz hübsch geworden, allerdings bin ich da jetzt irgendwie bedient. Allerdings hatte die Bedienung daran keinen Anteil ...


Fortsetzung folgt ...


Mittwoch, 3. Juni 2015

Das Gut-Mensch-Experiment: Return of Frau Holle

"Wann hast du denn das letzte Mal deine Schuhe geputzt?" Eine Standardfrage meines Schwiegervaters, auf die ich schon gar nicht mehr eingehe.
"Soll ich das nachher mal machen?", hakte er wie immer nach.
"Nein, mach dir keine Mühe. Sie werden ja doch wieder dreckig." Diese Antwort war reiner Eigennutz. Denn, wenn sich mein Schwiegerpapa die Schuhe vornahm, putzte er sie nicht einfach, sondern er wusch sie. Nach 3 Tagen auf der Wäscheleine hatte man dann eventuell die Chance nur ein wenig nasse Füße zu bekommen.
Er holte seine abgewetzte Elektriker Ledertasche aus dem aufgeräumten Kofferraum. Dort hätte man eine Operation durchführen können.
"Es ist gleich hier drüben", sagte ich und zeigte auf den Balkon im ersten Stock.
Prompt öffnete sich die Balkontür und ein weißes Kleidungsstück kam hinter der Baumkrone hervor. Man hörte es ab und zu knallen.
Ich lief ein Stück zur Seite, um nicht vom Baum verdeckt zu werden. Dann winkte ich. Ihr verbissener Gesichtsausdruck änderte sich keinen Moment, doch sie nickte kurz und begab sich ins Wohnungsinnere.
"Und, warum genau machst du das nochmal?", wollte mein Schwiegervater auf dem Weg zur Wohnung von Frau Holle wissen. Ich wollte gerade anfangen zu erklären, als wir schon vor der Tür standen.
"So, da sind wir und das ist der Patient", versuchte ich die Situation aufzulockern. Frau Holle stand mit verschränkten Armen und ihrer grauen Jogginghose im Türrahmen.
"Hallo", ging mein Schwiegerpapa offen auf sie zu und sie gab ihm tatsächlich die Hand.
Im Hintergrund ertönte ein langezogenes "Maaaamaaaa". Sie reagierte nicht.
Ich assistierte, während mein Schwiegervater den Rahmen des Klingeltasters und dann die Taste an sich abmontierte.
"Kann man den Hausstrom kurz abstellen?", fragte er dann und Frau Holle hob ahnungslos die Schultern.
"Es wäre schon gut, wenn sich das arrangieren ließe", ergänzte er und blickte sie abwartend an.
"Sie werden das Bisschen doch auch mal mit angestelltem Strom hinbekommen, oder?"
"Ehrlich gesagt, ungern."
"Ungern heißt ja nicht, dass es überhaupt nicht möglich ist", bekam mein Schwiegervater sofort zur Antwort.
"Es ist ihre Klingel und wenn es einen Kurzschluss gibt, der den kompletten Hausstrom lahmlegt, können Sie es auch gerne ihren Nachbarn erklären."
Sie rollte mit den Augen. Im Hintergund: "Maaamaaa!"
"Bitte ..." Weiter kam ich nicht.
"Das werden sie doch ohne Kurzschluss schaffen oder haben sie ihre Elektriker-Ausbildung am Kiosk erworben?"
"Jetzt ..." Auch dieses Mal, brauchte ich nicht weiterzusprechen.
In aller Seelenruhe packte mein Schwiegervater sein Werkzeug wieder ein. Den auf der Treppe liegenden Klingetaster nebst Rahmen übersah er geschickt. Dann trat er den Weg nach unten an, während Frau Holle verdutzt im Hausflur stand und immer wieder auf die Käbelchen, Anschlüsse und Widerstände schaute.
"He ... sie können doch nicht ...", rief sie, aber mehr hatte mein Schwiegervater wohl nicht mehr mitbekommen. Ich hörte die Haustür zufallen.
"Und wer befestigt mir jetzt meine Klingel?", ging sie mich an. Die Arme hatten die übliche Position verlassen und fuchtelten wild durch die Luft.
"Maaamaaa!"
"Ihr Kind ruft nach ihnen", gab ich zu bedenken.
Wütend drehte sie sich um und stampfte in ihre Wohnung. Für mich der rechte Zeitpunkt ebenfalls zu verschwinden.

Mein Schwiegervater hatte es sich auf der alten Bank in unserem Vorhof gemütlich gemacht und kam aus dem Lachen nicht mehr heraus.
"Weshalb lachst du denn bitte?"
Er klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter, als wollter er sagen: "Ach, Jungchen. Da hast du dir ne schöne Scheiße eingebrockt!"

Recht hat er.


Fortsetzung folgt ...

Dienstag, 12. Mai 2015

Das Gut-Mensch-Experiment: Frau Holle

Es vergingen einige Tage, bis ich wieder dazu kam, eine neue Offensive unter dem Codenamen "Erdbeerweltnachbarn" zu starten. Als es so weit war, hatte ich mir ein besonderes Bonbon herausgepickt: Frau Holle

Natürlich heißt sie nicht wirklich Frau Holle, doch zu jeder Tageszeit sieht man sie auf ihrem Balkon stehen und Wäsche ausschütteln. Morgens, bevor ich zur Arbeit fahre, abends, wenn man vom Einkaufen kommt und selbst am Wochenende, wenn man (egal zu welcher Zeit) das Haus verlässt. Immer steht sie auf dem Balkon und lässt die nassen Kleidungsstücke knallen.
Selbst meine Tochter ruft schon laut: "Guck mal, Papi! Frau Holle ist wieder da."
Ich warte schon auf den Tag, wenn sie so laut ruft, dass es Frau Holle mitbekommt.
Paradoxerweise ist Frau Holle etwa in meinem Alter und hat ein 1-jähriges Kind. Mir stellte sich bereits mehr als einmal die Frage, wo das Kind die ganze Zeit ist? Aber sei's drum ...

Ich wusste, dass sie zuhause war, denn kurz vorher hatte ich sie (taddah!) Wäsche ausschütteln sehen.
Also betätigte ich die Klingel und wartete. Die Haustür öffnete sich und heraus trat ... der Griesgram. Er beäugte mich skeptisch, zottelte dann aber weiter.
Niemand ging an die Gegensprechanlage und niemand öffnete die Tür. Sie war noch nicht ganz zugefallen, weshalb ich mir kurzerhand eigenmächtig Zutritt verschaffte.
Im ersten Obergeschoss angekommen, betätigte ich wieder die Klingel von Frau Holle und hoffte, dass sich nicht augenblicklich ein Pechregen über mich ergießen würde. Nach einer kurzen Pause, klopfte ich an die Tür. Ein Staubsauger begann zu dröhnen.
Die Sache war klar. Frau Holle hatte gerade keine Muse, die Tür zu öffnen, aber so schnell wollte ich nicht aufgeben. Noch einmal drückte ich den Klingelknopf. Zu fest, wie ich dann feststellen musste, denn er blieb hängen und die Klingel gab einen Dauerton von sich.
Hastig knubbelte ich an dem doofen Klingelknopf herum, damit es endlich aufhören würde zu klingeln. Da öffnete sich die Tür. Den laufenden Staubsauger und das schreiende Kind nicht beachtend, fuhr mich die hagere Frau an: "Was soll denn das werden?"
"Entschuldigung, das ..."
Sie trat im Stechschritt heraus, fegte meine Hände mit einer genervten Geste beiseite und fummelte an der Klingel herum, bis sie schließlich Ruhe gab. Sie schien das nicht zum ersten Mal zu machen.
"Sollte das nicht mal die Hausverwaltung reparieren?", fragte ich ein wenig eingeschüchtert.
"Sind sie gekommen, um mir das vorzuhalten? Ich habe keine Zeit, was wollen sie? Sie sind doch der von gegenüber ..."
Ich nickte, zog meinen Zettel heraus und streckte ihn ihr entgegen. "Eigentlich bin ich gekommen um meine Hilfe (beim Wäscheausschütteln) anzubieten und nicht, um die Klingel kaputt zu machen."
Mit dem kleinen Kärtchen in der Hand lief Frau Holle in die Wohnung und trat beiläufig den Staubsauger aus. Das Kind schrie weiter.
Sie las ein paar Augenblicke still, blickte mich dann von unten fragend an und steckte den Zettel in die Tasche ihrer grauen Jogginghose.
"Ich meine, wenn sie mal bei irgendwas Hilfe benötigen ..."
"Sie könnten ja die Klingel reparieren", schlug sie vor.
Das nennt man wohl Eigentor. Hätte ich mal die Klappe gehalten. Von solchen Dingen habe ich in etwa so viel Ahnung, wie ein Elefant vom Skifahren. Glücklicherweise ist mein Schwiegervater Elektromeister. Da würde sich bestimmt etwas einrichten lassen.
"Nun ... äh ... na gut. Aber ich kann nicht versprechen, dass es noch diese Woche etwas wird."
Frau Holle grinste selbstzufrieden über ihren Triumph.
Mit den Worten "Bis bald, und klopfen sie lieber." schloss sie die Tür. Der Staubsauger nahm wieder seinen Dienst auf.
Ich zückte mein Smartphone. Die enstprechende Nummer war schnell gefunden. "Hallo ... ja, ich bin's ... du - du bist doch Elektromeister ... Ja, ich weiß, dass du nicht mehr in dem Beruf arbeitest, aber ... Was? Jaja, denen geht's gut. Weshalb ich anrufe ..."

Nächste Woche haben wir einen Termin vereinbart. Mein Schwiegervater, Frau Holle und ich ...


Fortsetzung folgt ...

Dienstag, 21. April 2015

Das Gut-Mensch-Experiment: Der Griesgram und seine Frau

Neuer Tag, neues Glück. Also machte ich mich auf, zu meinen Nachbarn vom Haus gegenüber.
Das letzte Mal hatte ich die Bewohner aus der linken Erdgeschosswohnung nicht angetroffen, also standen sie ganz oben auf meiner Liste. Ich klingelte und es wurde mir direkt geöffnet, ohne die Gegensprechanlage zu bemühen.
An der Wohnungstür angekommen, wartete ich einen kurzen Moment, bis mir ein kleiner, untersetzter Mann mit grauem Haarkranz und ebenso grauem Schnauzer öffnete. Mürrisch blickte er mich von oben bis unten an und brummte mit Ach und Krach ein "Hmm?!" hervor.
Ich leierte meinen Text runter und erzählte ihm von guten Nachbarn, Hilfsbereitschaft und dem Gemeinschaftsgefühlt. Er blickte stumm auf den Zettel, den ich ihm in die knubbelige Hand gedrückt hatte. "Kann ich nich' gebrauchen", nuschelte er in seinen Schnauzbart, drehte sich um und schlug mir die Tür vor der Nase zu.
Das ging aber schnell, dachte ich und blieb verdutzt im Treppenhaus stehen. Ich hörte, wie in der Wohnung eine Frauenstimme lauter wurde. Die Wände scheinen aus Pressspan zu sein, denn ich verstand nahezu jedes Wort.
"Wer war das?", fragte die Frau.
"Ach, nich' so wichtig." Ich stellte mir vor, wie der Mann mit seiner dicken Hand abwinkte.
"Was hast'de da für'n Zettel?"
"Kann gleich in' Müll!"
"Zeig doch mal." Eine Weile wurde es still. "Und wieso sagst'de na nüscht von?", begann die Frau zu meckern. "Dir kann's ja egal sein. Du bist die ganze Woche nicht da! Aber ich ..."
"Jaja!", unterbrach sie der Mann genervt. "Das ist sicher so'n verkappter Kommi. Ist doch wie zu Zonezeiten. Alle für einen und der ganze Quark. Gemeinsam sind wir stark und gemeinsam rauben wir die Nachbarn aus."
"Quatsch!", rief die Frau und schlurfende Schritte entfernten sich. Eine Tür wurde zugeschmissen.
Plötzlich öffnete sich die Wohnungstür erneut und der grummelige Mann sah mich erzürnt an. Ohne ein Wort zu sagen, machte ich auf dem Treppenabsatz kehrt und begab ich nach draußen.

Zwei Tage später erhielt ich einen Anruf: "Hallo, hier ist Frau Dingens von gegenüber."
Ich fragte, was ich für sie tun könne.
"Nun, ich würde gern die Gagen waschen und komm nich' allein rauf."
"Die Gagen?" Wollte sie Schwarzgeld waschen? Aber dann fiel mir ein, dass sie die Gardinen meinte. Weinrote Vorhänge mit Goldfäden. Die schönsten Gardinen in der ganzen Straße. Ständig wusch sie diese schweren Lappen. Sonst hatte sie doch auch nie Hilfe benötigt. "Macht das nicht sonst ihr Mann?"
"Ja, schon ... aber der is' auf Montage und sie sind ziemlich dreckch."
"Wann benötigen sie denn meine Hilfe?"
"So schnell wie möglich."
"Würde heute Nachmittag, so gegen Fünf, passen?"
Sie sagte zu und ich stand pünktlich vor ihrer Wohnung.
Als ich das altmodisch gestaltete Wohnzimmer betrat, leuchteten mir aus einer Ecke Neonröhren entgegen. Ein riesiges Terrarium. Allerdings sah ich nicht, was sich darin befand.
"Eine Tigerpython", erklärte mir die Dame mit der rostbraunen 80er-Jahre-Dauerwelle und dem bunten Brillengestell.
"Aha."
Entweder war dem Mann eine echte Schlange lieber, als seine Frau oder es war ein Überbleibsel der ausgezogenen Kinder.
Vor den Fenstern stand eine Standard-Metall-Klappleiter. Ich stieg hinauf und hob die schweren Vorhänge hinunter.
"Wissen sie, normalerweise ist mein Mann nicht so mürrisch, aber ...",
Die Hälfte von ihrem Redeschwall bekam ich nicht mit, da ich mit den verhedderten Gardinen beschäftigt war.
"... also machen sie sich darüber keine Gedanken."
"Nein, keine Sorge", antwortete ich, obwohl ich gar nicht wusste, worum es ging.
"Da bin ich ja beruhigt", sagte sie, als ich von der Leiter stiegt. Sie griff in die Tasche ihrer wollenen Strickjacke mit den großen Holzknöpfen und zauberte einen 10-Euro-Schein heraus. "Für ihre Mühe."
Ich lehnte ab, denn genau das wollte ich nicht. "Tut mir leid, aber ich helfe ausschließlich umsonst."
"Ach kommen sie! Da kaufen sie ihrer Tochter eben ein Eis für."
Ich schüttelte den Kopf und dachte darüber nach, wie groß wohl ein 10-Euro-Eis sein würde. Zumindest würde es für ein Kopfkissen voller Erbrochenem reichen.
"Die bekommt auch so genug Eis, aber danke. Ich muss dann auch weiter ..."
Sie folgte mir mit dem Geldschein wedelnd, bis zum Ausgang.
"Vielen Dank!", rief sie mir hinterher.
Ich war einfach froh, diese Aufgabe hinter mir zu haben. Da würde ich mich noch auf einige Gehweg-Gespräche einstellen müssen.

Einen Tag später fand ich 10 Euro im Briefkasten. Ich spendete sie talentierten Straßenmusikern in der Innenstadt ...


Fortsetzung folgt ...






Mittwoch, 1. April 2015

Das Gut-Mensch-Experiment: Der erste Kontakt

Lange habe ich mir darüber Gedanken gemacht: Wie nehme ich Kontakt zu meinen gesichtslosen Nachbarn auf? Stelle ich mich persönlich vor oder werfe ich einen handgeschriebenen, selbstgebastelten Zettel in die Briefkästen? Komme ich überhaupt an die Briefkästen oder befinden sich diese hinter verschlossener Tür? Wenn ja, klingele ich einfach? Aber dann hätte ich ja gleich den persönlichen Kontakt. Hm ... ich könnte ihnen das Zettelchen mit den aufgeklebten Frühblühern gleich von Angesicht zu Angesicht überreichen und vielleicht einen Filterkaffee abstauben.
Es ist wie immer im Leben. Alles hat seine Vor- und Nachteile. Daher habe ich mich für eine Mischform entschieden. Bei einer Hälfte werde ich persönlich vorstellig und die anderen bekommen einen Schriebs in den Briefschlitz.


Der erste Persönliche Kontakt:

Direkt gegenüber befindet sich ein Mehrfamilienhaus. Ich wohne seit 6 Jahren in unserer Wohnung, aber blicke bis heute nicht durch, wie viele Wohnungen sich in diesem Haus befinden. Scheinbar gibt es auf der nicht einsehbaren Rückseite noch unzählige Behausungen. Jedenfalls gehen dort ständig Leute ein und aus und ich denke mir immer: Wo kommen die denn alle her und wie passen die da alle rein?
Allerdings haben auch die Zeugen Jehovas das Potential dieses Hauses entdeckt, denn sie kampieren regelmäßig vor der Eingangstür und blicken gebannt auf ihre Mitgliederliste. Ob ich schon Pluspunkte sammeln kann, wenn ich sie verjage?
Nun ... ich dachte mir, dass genau dieses ominöse Haus genau das richtige für den Anfang sei. Vielleicht bekomme ich so auch endlich heraus, was sich hinter der Wohnung im 2. Obergeschoss verbirgt, bei der noch niemals in den 6 Jahren die Rollos hochgezogen wurden und aus der man gelegentlich eine laut schimpfende Stimme in gebrochenem Englisch (mit afrikanischem Akzent) hört: "You have to pay the Money!"

Unten rechts wohnt eine ältere Dame, die einen osteuropäischen Akzent hat. Bis vor ein paar Jahren hatte sie so einen modischen Taschenhund, den sie immer im Jutebeutel mit sich herumtrug. Nach dessen Tod hatte sie sich aber überraschenderweise keinen Neuen angeschafft.
Für den Anfang hatte ich mir also das Ömchen auserkoren und klingelte dort, wo ich vermutete, dass ihr Klingelschild sei. Wie ich es erwartet hatte, antwortete sie mir nicht durch die Gegensprechanlage und öffnete auch nicht einfach, sondern kam ans Fenster.
Mit einem langgezogenen "Ja, biiittee?" starrte sie mich fragend durch ihre dicken Brillengläser an. (wenn ich die Lichtbrechung richtig berechnet habe)
"Hallo, Fau Sowieso! Sie kennen mich sicher vom Sehen. Ich wohne gegenüber und führe gerade ein Projekt zur guten Nachbarschaft durch."
"Wie sie machen? Müssen lauter sein!", bekam ich zur Antwort.
Ich merkte schon, dass ich meine Wortwahl etwas vereinfachen sollte. "Könnte ich kurz vor ihre Tür kommen? Dann müssen wir nicht so schreien."
Sie blickte noch immer durch diese Lupen und ihre Miene blieb versteinert. Ich zeigte mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Haustür und setzte einen fragenden Blick auf.
"Ah ... da!" Sie verschwand vom Fenster und betätigte den Summer.
Ich ging die vier Stufen nach oben und wartete, bis sie die Tür ihrer 1-Zimmer-Wohnung öffnete.
"So ... also, ich möchte gerne etwas für meine Nachbarn tun, damit wir uns besser kennenlernen. Deshalb habe ich mir gedacht ..."
"Ja ... Nachbarn. Ich wohne laaange hier."
"Genau. Und damit man sich als Nachbarn auch einmal kennenlernt, möchte ich gerne meine Hilfe anbieten. Wenn Sie mal irgendetwas haben, bei dem ich ihnen helfen kann, melden sie sich einfach bei mir. Sie wissen ja wo ich wohne." Sie lachte. Aber es war ein unsicheres Lachen. So, als habe sie gar nicht verstanden worum es ging. Doch ich war vorbereitet und drückte ihr meinen vorbereiteten Zettel in die Hand. Sie hielt ihn sich einen Zentimeter vor die Nase und sagte kurz angebunden: "Vielen Danke."
Dann schloss sie die Tür.

Da ich nun schon einmal im Haus war, versuchte ich es gleich bei der anderen Wohnung im Erdgeschoss, doch öffnete mir niemand. Ich begab mich ins erste Obergeschoss, wo mir eine noch ältere Dame entgegenkam, die ich nur vom Sehen kannte, da sie immer ihr Mittagschläfchen auf dem Balkon hielt, wenn die Sonne schien.
"Guten Tag", begrüßte ich sie freundlich.
Sie blickte erschrocken auf, wobei ihr fast das leere Einkaufsnetz aus der zitternden Hand fiel.
"Hallo, ich bin ihr Nachbar von Gegenüber und ich setzte mich gerade für eine bessere Nachbarschaft ein. Darum möchte ich allen Nachbarn bei einer Sache ihrer Wahl helfen. Sollten sie also einmal Hilfe benötigen ..."
"Ich kenne sie", sagte sie, als hätte sie gerade mal die ersten zwei Worte von mir verstanden.
Ich nickte. "Genau. Falls sie mal Hilfe brauchen ...", begann ich und gab auch ihr den Zettel.
Sie las aufmerksam und ich wendete ihn mehrfach.
"Können Sie bitte für mich einkaufen gehen?", fragte sie schließlich mit flatternder Stimme.
"Aber natürlich. Deshalb frage ich ja, ob ich ihnen behilflich sein kann." Ich war froh, dass es sich um eine vergleichsweise einfache Aufgabe handelte. Was würde so eine alte Dame schon großartig benötigen? "Sagen Sie mir einfach, wann sie den Einkauf benötigen", bot ich großzügig an.
"Ich wollte gerade losgehen." Eine Antwort, die mir gar nicht schmeckte. Mein Zeitplan hatte an diesem Tag eigentlich keinen Einkauf vorgesehen, aber versprochen war versprochen. Ich konnte doch nicht gleich beim ersten Auftrag einen Rückzieher machen oder sie auf später vertrösten.
"Ähm ... ja ... gut ... Sie ... also ... haben Sie denn einen Einkaufszettel?", stammelte ich, um den Eindruck zu erwecken, dass ich dafür eigentlich gar keine Zeit hatte.
Sie nickte und zog einen feinsäuberlich zusammengefalteten Zettel aus ihrer Jackentasche. Ich nahm ihn entgegen, faltete ihn langsam auseinander und hoffte inständig, dass weniger als 10 Wörter darauf stehen würden.
"Oh ...", entfuhr es mir, "... altdeutsche Schrift."
Wir einigten uns darauf, dass sie mir alles noch einmal vorlesen sollte, damit ich es in mein Smartphone speichern könnte. Glücklicherweise handelte es sich lediglich um 6 Artikel:

Haftcreme
Kamillentee
5kg Kartoffeln
1 Kasten stilles Wasser
1 Päckchen Kaffee
1 Flasche Obstbrand

Ich nahm das Einkaufsnetz, begab mich zur nahegelegenen Kaufhalle und packte gleich noch ein paar Sachen in den Wagen, die ich selbst gebrauchen konnte. Knackwurst, Porree, Harzer Roller ...
Man muss das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.
Als ich wieder bei der Dame vor der Tür stand, strahlten mir ihre Dritten entgegen und ich war froh, dass sie nun neue Haftcreme bekam, damit sie an Ort und Stelle bleiben konnten. Die Frau bedankte sich überschwänglich und fragte wann ich wieder vorbeikommen würde ...

Ups ... das hatte ich gar nicht bedacht. Ein kurzer Schockmoment machte mir bewusst, dass es durchaus mehrere (vor allem ältere) Nachbarn geben könnte, die den Fakt mit dem "einmalig" nicht verstehen würden.
Aber eines meiner Mottos ist es, möglichst ehrlich zu sein. Die Wahrheit ist zwar manchmal hart, aber sie lässt sich nicht verbiegen.
"Tut mir leid, Frau Dingens. Ich möchte zunächst allen Nachbarn einmalig meine Hilfe anbieten. Da wird es in nächster Zeit schwierig, nochmals für sie einkaufen zu gehen."

Damit verpuffte die anfängliche Freude und Dankbarkeit der alten Damen zum Teil wieder.
Interessant!

Nach diesen ersten beiden Kontakten werde ich ein wenig abwarten und in den nächsten Tagen erneut 2 oder 3 Nachbarn behelligen. Eventuell meldet sich auch noch die Frau mit dem osteuropäischen Akzent, sofern sie doch noch mein Anliegen versteht.


Forstetzung folgt ...




Montag, 30. März 2015

Das Gut-Mensch-Experiment

"Auf gute Nachbarschaft!" Das sagt sich so leicht. Gibt es das heute noch? Nachbarn die sich helfen? In der Stadt? Hinter all diesen verriegelten Türen und verschlossenen Briefkästen mit einer abwehrenden Hand als Aufkleber darauf?
Ich glaube nicht so recht daran. Ja, es gibt immer ein paar nettere und weniger nette Nachbarn. Aber weshalb kann sich nicht ein ganzer Straßenzug aufeinander einschwören und allen Widrigkeiten trotzen?
Das möchte ich herausfinden und deshalb werde ich folgendes Experiment unternehmen:

Ich werde jedem meiner Nachbarn, von der einen bis zur anderen Querstraße, anbieten, ihnen bei einer Sache ihrer Wahl behilflich zu sein. Völlig umsonst. Einfach aus Nettigkeit (und dem Hintergedanken dieses Experiments).

Was werden sie wohl sagen oder tun?
Ich könnte mir vorstellen, dass sich viele gar nicht trauen werden, meine Hilfe anzunehmen, weil sie irgendeinen schmutzigen Trick dahinter vermuten und denken werden, dass ich nur an ihr sauer erspartes Geld möchte.
Andere werden ungläubig reagieren und dennoch völlig verdutzt meine Hilfe annehmen.
Aber das sind nur Mutmaßungen.
Ich bin gespannt, wie es wirklich ablaufen wird und werde jegliche Erlebnisse, Fortschritte und Rückschläge auf diesem Blog veröffentlichen.

Nun lassen wir es also beginnen: Das Gut-Mensch-Experiment!


Der gespannte "magico"