Freitag, 29. Januar 2016

Das Gut-Mensch-Experiment: Am Scheideweg

Ziemlich genau zehn Monate ist es her, seit ich das Gut-Mensch-Experiment begonnen habe.
Die Zeit verging wie im Fluge, das Experiment glich einer Berg und Tal-Bahn und von Tag zu Tag wuchs die Erkenntnis, dass viele Menschen einfach nur aus ihrem Schneckenhaus gelockt werden müssen. Manch einer entpuppte sich als wahres Juwel, andere dienten nicht mal als Dung für die umliegenden Felder.
Überrascht war ich dennoch über die Mehrheit an netten, hilfsbereiten Nachbarn, die ich mittlerweile durchaus als Freunde bezeichnen kann.
Auf der anderen Seite war ich natürlich schockiert über die Ignoranz und Arroganz einiger wenigen Nachbarn, doch das war zu erwarten.

Die Krönung war natürlich der Weihnachtsmarkt der afrikanischen Gemeinde und der hilfsbereiten Nachbarn unserer Straße. Allein für dieses eine Ereignis haben sich die zehn vergangenen Monate gelohnt. Ein Großteil der Nachbarschaft ist zusammengewachsen, auch wenn hier und da schon wieder einige Kontakte im Sande verlaufen. So ist das nun einmal. Damit müssen wir Leben. Menschen kommen und Menschen gehen. Wir müssen nur darauf achten, dass ein paar von ihnen bleiben. Nach Möglichkeit die richtigen und wichtigen.

Der Scheideweg

Wie soll es nun aber weitergehen? Soll es überhaupt weitergehen?
Die Aktion ist nicht mehr taufrisch, die ganze Straße abgegrast. Macht es Sinn weiterhin zu berichten, was sich in der Nachbarschaft so tut, quasi die Nachbeben aufzuzeichnen?


Was meint Ihr? Möchtet Ihr weiterhin über das Gut-Mensch-Experiment lesen?
Ich bin gespannt auf Eure Meinung.



Vielen Dank und bis zum nächsten Eintrag - magico

Montag, 25. Januar 2016

Das Gut-Mensch-Experiment: Ngana & Klaus & der Weihnachtsmarkt (Teil 2)

Der November war passé, mein Telefon sehr abgegriffen. Meine Ohren sowie meine Finger benötigten eine lange Pause und ... prompt nahmen sie sich, was ihnen zustand.
Der Dezember war gesundheitlich gesehen eine einzige Katastrophe. War ich auf dem Weg der Besserung, hatte es meine Kinder oder meine Frau erwischt und danach das ganze Retour.
Weihnachten und somit das Datum des geplanten Nachbarschaftsweihnachtsmarktes der afrikanischen Gemeinde rückte näher.
Glücklicherweise hatten sich Ngana & Klaus unheimlich ins Zeug gelegt. Unsere anderen Nachbarn waren auch nicht untätig gewesen.
Einen Tag vor dem großen Ereignis raffte ich mich trotz Fiebers auf und half die einzelnen Stände aufzubauen. Bei unseren Nachbarn mit der Yogaschule entstand die Handwerksabteilung. Das passte thematisch sehr gut zu den ganzen asiatischen Schnitzereien. Auf jeden Fall sah es exotisch aus.
Bei uns, das heißt, bei unserem Vermieter im Garten bauten wir die Versorgungsstrecke auf. Glühwein, Bratwurst, Fettbemme, Gebäck. Die Kinder der Nachbarschaft waren Feuer und Flamme, denn dieses Jahr wurde gemeinschaftlich gebacken und zwar nicht nur ein oder zwei Bleche.
Meine Tochter besitzt kein sehr ausgeprägtes Durchhaltevermögen, aber sobald andere Kinder dabei waren, konnte sie uns durch die erstaunliche Ausdauer eines Kamels überraschen.
Hinter der Pension wurde die überdachte Feuerstelle hergerichtet. Stockbrot und afrikanisches Fladenbrot sollten hier ihre Abnehmer finden. Außerdem wurden die Bastelstände aufgestellt. Kleine Weihnachtsmänner und Schneemänner aus Klopapierrollen oder Tannenbäumchen aus bunten Knöpfen und so weiter ...
Wirklich kalt war es ja nicht und so hoffte ich, dass mir diese Aktion nicht den Rest gegeben hatte.

Der große Tag

Noch vor dem Wecker war ich wach. Meine Frau auch und kurz darauf folgten die Kinder. Wir hatten das Frühstück noch nicht begonnen, da hatte ich schon drei Telefonate geführt. Eins mit Ngana - er wollte wissen, wo er mit dem Sprinter parken kann, um auszuladen, eins mit der Frau vom Griesgram - sie musste den Stockbrotteig unbedingt schon rüberbringen und eins mit (und das war die Überraschung des Tages) dem Besitzer des kleinen Eckcafés. Er hatte ein Coffeebike organisiert. Das ist ein Fahrrad, welches zum mobilen Kaffee-Verkaufsstand umgebaut ist. Sicher wollte er damit auch Werbung für sein Café machen, doch ich nahm sehr gerne sein Angebot an.
Als ich gegen 10 Uhr die Gärten enterte, war das Chaos ausgebrochen. Menschen jeglichen Alters und jeglicher Abstammung wuselten quer durcheinander. Aus den Gärten auf die Straße, von der Straße in die Gärten. Übereinander, untereinander, durcheinander und gegeneinander.
Meine Frau und ich delegierten die Waren und Materialien zu den richtigen Ständen.
Unser Vermieter trat an mich heran und grinste hämisch. Angst um seinen Garten hatte er nicht, denn der hatte schon wildere Partys erlebt. Sein Blick sagte: "Du tust mir ja schon ein bisschen leid, aber hauptsächlich ist es lustig."
Die Zeit verlief wie im Fluge. Jede Wohnung in der Straße hatte zwei Wochen zuvor eine kleine Einladung im Briefkasten liegen. Um 15 Uhr war der offizielle Startschuss und ein Sturm brach über die drei Gärten herein. Mit so viel Andrang hatten wir nicht gerechnet.
Spontan postierten sich fünf Afrikaner in einer Ecke des Yogagartens und spielten Weihnachtslieder mit Bongo-Rhythmen. Sofort rottete sich eine kleine Menschentraube darum.
Ich ging von Stand zu Stand und schaute wo ich helfen konnte. Meine Erkältung machte mir ein wenig zu schaffen, aber die Euphorie ließ die meisten der Symptome weichen.
Gerade als ich vom Kunsthandwerk zur Fettbemme wechseln wollte standen zwei Kindergärtnerinnen aus der Kindertagesstätte meiner Tochter vor mir und schauten ziemlich angestrengt. Kein Wunder, denn sie schleppten eine Zuckerwattemaschine mit sich herum. Ich hatte meinen Mund noch nicht geöffnet, als auch schon eine Schar Kinder um uns herumsprang.
Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, wohin ich jetzt auch noch mit der Zuckerwattemaschine sollte, doch es fand sich ein Plätzchen am Hintereingang unseres Hauses. Da mussten wir wenigstens kein meterlanges Kabel legen. Ich dankte den beiden und wusste, wo meine Tochter von diesem Moment an zu finden sein würde.
Der Glühwein floss in rauen Mengen, die Bratwurstvorräte neigten sich bereits dem Ende und alle Fettbemmen waren längst vergriffen. Doch immer wieder kamen Nachbarn und brachten selbstgemachte Kleinigkeiten mit.
Am Feuer drängten sich unheimlich viele Menschen. Doch nicht weil es so kalt war, sondern weil Ola, die Frau von Ngana, Maisfladen buk. Begeistert sahen alle zu und ebenso begeistert bissen sie in das Ergebnis hinein.
Als ich das Gefühl hatte, dass sich alles ein wenig eingepegelt hatte, suchte ich Ngana & Klaus.
Ich fand sie am Eingang, wo sie jedem einzelnen Besucher die Hand schüttelten und sich für das Kommen bedankten.
Sie sahen mich kommen und verließen kurz ihren Posten, um sich auch bei mir zu bedanken. Klaus verschwand kurzerhand, nur um dann mit der gesamten Gemeinde zurückzukommen. Mitten auf der Straße begannen sie zu singen und zu tanzen. Als dann noch ein afrikanischer Weihnachtsmann in die Mitte trat und mit einer donnergleichen Stimme alle Kinder zu sich rief, war allen bewusst, dass dieser Nachbarschaftsweihnachtsmarkt ein voller Erfolg gewesen war.
Jedes Kind bekam eine kleine, handgeschnitzte Tierfigur. Elefant und Giraffe zieren seither das Fensterbrett unseres Kinderzimmers und immer, wenn unsere Tochter die Figuren bewusst wahrnimmt, fragt sie, ob wir bald wieder einmal einen Weihnachtsmarkt im Garten machen.
Dann nicke ich jedes Mal und sage: "Wir haben gar keine andere Wahl."

Was danach geschah

Abgesehen von der großen Aufräumaktion, bei der sich dann doch ein paar weniger Nachbarn beteiligten, als eigentlich geplant, hatte sich eine regelrechte Nachbarschaftshysterie entwickelt. Lauthals sprachen sie vom Ostermarkt, schmiedeten Pläne, warfen mit Begriffen wie "Vereinsgründung" um sich und überhaupt trommelten alle wie wild.
Ich hatte mich, nicht nur auf Grund meiner wieder aufgeflammten Erkältung, ein wenig aus der Schussbahn gezogen und sagte mir: Lass die mal machen.
Alle, die dennoch an mich herantraten verwies ich an das kleine blaue Eckhaus am anderen Ende unserer Straße. Die meisten jedoch, hatten das schon ganz instinktiv verstanden.
Und Ngana & Klaus? Die waren nun angekommen ... in der Mitte unserer Nachbarschaft!


Fortsetzung folgt ...